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Unsere Kennenlern-Geschichte

Jeden Morgen fuhr ich mit dem Zug nach Aachen. Nach dem Abitur hatte ich dort meine Ausbildung angefangen und war jetzt im 3. Ausbildungsjahr. Täglich fuhr ich von meinem Heimatort aus 30 Minuten mit dem Bus zum nächsten Bahnhof und von dort aus 20 Minuten mit dem Zug bis Aachen, um dort noch mal 10 Minuten Fußweg bis zum Büro zurückzulegen. Natürlich kann man in Bus und Bahn lesen, aber auf Dauer ist die Fahrerei doch einfach nur lästig. Für Hin- und Rückweg gingen täglich immerhin 2 ganze Stunden drauf. Und obwohl ich das ein oder andere Gesicht bald kannte, entstanden nur selten nennenswerte Gespräche. Einzig ein älterer, gehbehinderter Herr verwickelte mich ab und an in höchst einseitige Gespräche über das Wetter und seine Arbeit in einer Bibliothek. Oft winkte er mich zu sich, wenn neben ihm noch ein Platz frei war, und obwohl ich am frühen Morgen lieber nur meine Nase in ein Buch gesteckt hätte, erlaubte die Höflichkeit mir selten ihn zu ignorieren.
So habe ich es diesem redseligen Bibliothekar zu verdanken, dass sich eines Tages ein netter, junger Mann neben mich setze, der ungefähr auf der Hälfte meiner Zugstrecke nach Aachen einstieg. Er war mir schon ein paar Mal aufgefallen. Er trug meist ein kariertes Hemd, dessen Ärmel er bis über die Ellenbogen aufgekrempelt hatte. Aber vor allem stieg er immer mit einem Lächeln ein und selbst im Winter, wenn es so früh am morgen noch dunkel und das Wetter meist ziemlich unfreundlich war, wünschte er den Umstehenden einen guten Morgen und strahlte gute Laune aus. Außerdem war er attraktiv und auch das hatte ich registriert. Allerdings schloss ich, dass ein so attraktiver und charmanter Mann mit absoluter Sicherheit vergeben war und an mir kein gesteigertes Interesse haben konnte. So hielt ich es auch nicht für bedeutsam, als wir uns zum ersten Mal über das Wetter unterhielten, weil der Bibliothekar auch ihn auf einen freien Platz in seiner Nähe verwiesen hatte. Selbst als wir danach häufiger ins Gespräch kamen, auch ohne dass besagter Herr dabei war, erschien mir dies als belangloser Zeitvertreib. Erst viel, viel später sollte ich erfahren, dass meine neue Bekanntschaft nur um mich zu sehen diverse Male einen anderen Zug genommen hatte und damit zu spät zur Arbeit gekommen war. Doch so häuften sich unsere Treffen und Gespräche und irgendwann, als sich unsere Wege mal wieder in Aachen am Bahnhof trennten, reichte er mir die Hand und sagte mir, er hieße Michael (englisch ausgesprochen). Auch ich nannte ihm meinen Vornamen und allein mit diesem und dem Wissen, wo ich arbeitete, fand Michael meine Email-Adresse heraus und schrieb mir. Und diese Mail hätte ich beinahe gelöscht, da ich den Absendernamen nicht kannte und sie für Spam hielt. Nur der Betreff, der etwas von „Zugbekanntschaft“ besagte, hielt mich im letzten Moment davon ab. So entstand neben den eher oberflächlichen Gesprächen im Zug ein intensiverer Mail-Wechsel, indem wir einiges mehr von einander erfuhren. Ich hatte Michael auf etwas 25 geschätzt (ich selbst war 21), aber er war schon 29 und hatte tatsächlich Angst, dass mich dieser Altersunterschied stören würde. Weiterhin kam ans Licht, dass er gar nicht Michael, sondern Michel hieß und Niederländer war. Nur seine Aachener Kollegen hatten ihn „umgetauft“. Nach ein paar Wochen drückte mir Michel morgens einen Umschlag mit einem handgeschriebenen Brief in die Hand, indem er mir gestand, dass er mehr für mich empfand als nur Freundschaft. Aus irgendeinem Grund hatte ich damit noch immer nicht gerechnet, sondern war weiterhin der Meinung gewesen, er müsse eine ebenso attraktive Freundin haben und ich wäre nur eine nette Bekanntschaft. Aber er war solo und der Himmel weiß, warum ich zögerte. Aber immerhin ließ ich mich darauf ein, mich nach der Arbeit mit ihm auf einen Kaffee zu treffen und so gut unterhalten und so viel gelacht wie an diesem Nachmittag hatte ich schon lange nicht mehr. Michel begann mir morgens mit dem Zug entgegen zu fahren und ab und zu fuhr er sogar nach der Arbeit mit bis zu meinem Bahnhof, um von dort aus die halbe Strecke wieder zurück zu müssen. Und eines Abends im Oktober fuhr er wieder mit mir bis zu meiner Endstation und als wir uns dort in der Unterführung verabschiedeten und der Bahnhof wie ausgestorben war, küssten wir uns zum ersten Mal. Dieses Kribbeln im Bauch, während unsere Lippen einander immer näher kamen, dauerte eine Ewigkeit, doch es war einfach wundervoll. Und damit war der Bann natürlich gebrochen! Wir trafen uns immer häufiger und Michel war immer öfter auch bei mir zuhause. Wir lagen die halbe Nacht aneinander gekuschelt auf der Couch, hörten alte Musik, und redeten. Manchmal fuhr Michel erst um 3.00 oder 4.00 Uhr morgens nach Hause, um mich um 7.00 Uhr schon wieder im Zug zu treffen. So verrückt können nur Verliebte sein. Und mit so wenig Schlaf auskommen auch! Und nach einem knappen Jahr ist Michel dann bei mir eingezogen und alles war perfekt. Seine Familie hat mich mit offenen Armen aufgenommen und meine Eltern lieben ihn wie einen eigenen Sohn. Aber vor allem ist Michel immer für mich da und unterstützt mich wo er nur kann. Nach Abschluss meiner Ausbildung wusste ich nicht wie es weiter gehen sollte. Ich wollte etwas anderes machen, wusste aber nicht was. Fast ein Jahr lang war ich unschlüssig und mit mir selbst unzufrieden. Aber als ich mich entschied ein Philosophiestudium zu beginnen, hat Michel keinen Moment gezögert meine Begeisterung zu unterstützen. Manchmal glaube ich, er kennt mich besser als ich mich selbst. Er durchschaut sofort wenn ich mir etwas vormache und weiß immer, wie er mich glücklich machen kann. Nicht zuletzt hat er auch meine langjährigen Hobbies, das Segeln und das Tauchen, für sich entdeckt und wir können sowohl gemeinsam als auch getrennt Spaß haben. Leider hat man Michel nach Abschluss seiner Promotion einen Job in Stuttgart angeboten und seit 2005 haben wir einander nur am Wochenende. Aber auch das scheint uns nicht geschadet zu haben und so planten wir, nach einem romantischen Heiratsantrag an Silvester 2007/08 unsere Hochzeit für August 2009.
Ganz am Anfang unserer Beziehung hat Michel die Liebe einmal damit verglichen, ein Häufchen Sand in der hohlen Hand zu halten. Greift man zu fest zu, drückt man den Sand zwischen den Fingern heraus und verliert ihn. Aber auch wenn man ihn zu locker hält, rieselt er zwischen den Fingern hindurch und geht verloren. Liebe ist also eine gekonnte Mischung aus festhalten und Freiheiten lassen. Und ich denke, mit dieser wunderbaren Einsicht können wir beide ein Leben lang glücklich werden.

25.07.2008: Unsere Love-Story wird veröffentlicht

Diese Geschichte habe ich, Sonja speziell für das Preisausschreiben der Zeischrift „HOCHZEIT“ geschrieben und sie wurde als Gewinnergeschichte ausgewählt. In der August-Ausgabe 2008 wurde unsere Geschichte veröffentlicht und gewonnen habe ich dadurch mein Brautkleid der Firma Kleemeier.
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Stand:
08.01.2013